William, 21 Jahre
England
geschrieben von Frances Concannon - Williams Mutter
Schule, College und Arbeit
Für William begann die Schulzeit in einer Regelgrundschule, in der es eine Gruppe für Hörgeschädigte und eine Vorschule gab. In der Vorschule war er im Alter von etwa 2 bis 5 Jahren. Er wechselte dann in die Grundschule und blieb dort 3 Jahre. Obwohl man sich in der Gruppe sehr viel Mühe gab, brauchte er eine spezifischere Förderung. Im Alter von 7 Jahren meldeten wir William an einer Förderschule an.
An der Förderschule (Milestone Academy) blieb William vom 3. bis zum 14. Schuljahr. Er verbrachte 3 Jahre in einem Programm, das die Schule für Schüler über 16 Jahre anbot, davon die letzten beiden an einer Außenstelle einer weiterführenden Schule (Wilmington Academy). William legte keine Prüfungen ab und verließ die Schule ohne einen formalen Abschluss.
Wir waren der Meinung, dass William in der Lage war, sich noch mehr Lebenskompetenzen und mehr Wissen zu erarbeiten. Unsere Hoffnung war es, für William einen passenden Platz an einem College zu finden, wo er mit der Schule weitermachen konnte. Wir hatten den Eindruck, dass William gerne weiterhin in einem schuld-ähnlichen Umfeld bleiben wollte.
Derzeit ist William in seinem zweiten Jahr am West Kent College in seiner Heimatstadt. Er wurde der Abteilung für Vorbereitungskurse zugewiesen und hat eine 1 zu 1-Begleitung durch ein Team gebärden kompetenter Kommunikationshelfer. An 4 Tagen pro Woche ist er von 9:00 bis 15:00 Uhr am College.
An einem Tag pro Woche hat William am College Gelegenheit, praktische Arbeitserfahrungen zu sammeln. Während seines ersten Jahres half er in der College-Bücherei mit. In diesem Jahr (2020) bot man ihm an, im Café des Colleges mitzuarbeiten. Er war bisher nur einmal dort, aber die Mitarbeiter sagten, dass es gut gelaufen sei. Er hat Tische abgeräumt, Regale aufgefüllt und so weiter und schien es auch gerne zu tun. Wir sehen das als eine große Chance für William, innerhalb des geschützten Raumes am College und unterstützt von Mitarbeitern, die ihn kennen und die ihm helfen können, mit anderen zu kommunizieren und seine Rolle und seine Aufgaben zu verstehen. Die College-Mitarbeiter haben sich dafür eingesetzt, dass er diese Chance bekommen hat.
Einmal pro Woche, wenn er nicht am College ist, verbringt William Zeit mit seinem Begleiter (Pflegekraft). Sie gehen regelmäßig schwimmen und anschließend im Café zusammen essen. William genießt das Schwimmen und die Routine gibt ihm Sicherheit. Es ist eine tolle Gelegenheit für William, einige der Dinge, die er im College lernt, in die Praxis umzusetzen, zum Beispiel den Umgang mit Geld, Selbstfürsorge und das Miteinander, wenn man draußen unterwegs ist. Wir hoffen, dass wir William dabei unterstützen können, seine Selbstständigkeit allmählich weiterzuentwickeln, aber uns ist klar, dass es sich um einen langsamen Prozess handelt, der nur Schritt für Schritt erfolgen kann.
Derzeit hat William keine Arbeitsstelle. Als er kürzlich darauf angesprochen wurde, konnte William nichts antworten. Vielleicht hat er noch nicht darüber nachgedacht und es ist unwahrscheinlich, dass ihm bewusst ist, welche Möglichkeiten es gäbe. Als seinen Eltern ist uns klar, dass William sehr viel Unterstützung brauchen würde, um Zugang zu einer Arbeit zu finden. Sofern dies aber möglich wäre, würden wir uns freuen, wenn William etwas tun könnte, was ihm Freude bereitet und mit dem er auch etwas zurückgeben könnte, zum Beispiel mit der Arbeit in einem Café (wie im College).
Wohnsituation
William lebt zu Hause bei seiner Familie (Mutter, Vater und einem 17-jähriger Bruder). Er ist hier glücklich und hat vermutlich noch nie über eine alternative Wohnform nachgedacht. Als seine Eltern hoffen wir, dass wir mit der Zeit eine Möglichkeit für William finden werden, an einem anderen Ort zu wohnen - auch hier wieder mit viel Unterstützung - wo er einen angemessenen Grad an Selbstständigkeit erfahren kann. Gemeinsam mit dem Sozialamt arbeiten wir daran, besser zu verstehen, was er braucht und wozu er in der Lage ist, um perspektivisch in einigen Jahren dann eine solche Möglichkeit für ihn finden zu können.
Selbstständigkeit
William kann bei kleinen Summen mit Bargeld zahlen und versteht langsam, was zu tun ist, wenn er das Geld gerade nicht ganz passend hat. Er kann sich selbst anziehen und sich weitestgehend eigenständig um seine Körperpflege kümmern. Bei gewissen Dingen benötigt er allerdings Anstöße und es muss jemand dabeibleiben, damit er sie auch wirklich umsetzt - zum Beispiel an College-Tagen zu einer bestimmten Uhrzeit aufzustehen, ins Bett zugehen, zu baden oder zu duschen, Haare zu waschen, Zähne zu putzen, et cetera Er kann einfache Snacks und Mahlzeiten für sich selbst zubereiten, muss aber gegebenenfalls daran erinnert werden. Er kann die Waschmaschine und die Spülmaschine nach Aufforderung bedienen, müsste aber auch hier daran erinnert werden, dass ein überquellender Wäschekorb und keine saubere Kleidung mehr bedeutet, dass er eine Runde waschen sollte.
Er hilft gerne beim Einkaufen und scheint auch zu verstehen, wie das Einkaufen funktioniert. Auch hier sind wir uns nicht sicher, ob er merken würde, wann wieder ein Einkauf (zum Beispiel von Lebensmitteln) anstünde und ob er in der Lage wäre, ohne beträchtliche Unterstützung Mahlzeiten zu planen, eine Einkaufsliste zu erstellen und einzukaufen. Um seine medizinischen Bedürfnisse und Arzttermine kümmert er sich derzeit nicht selbst.
William ist gut darin, sich auf geregelte Abläufe einzustellen. Er kann sich die einzelnen Schritte merken, die für eine Reihe von Aufgaben erforderlich sind. Gelernt hat er das, indem er uns zu Hause beobachtete und Dinge selbst tat, sowie durch eine spezielle Förderung, die sich mehr auf den Erwerb von „Lebenskompetenzen“ als jenen von Qualifikationen konzentrierte.
William ist auf Gebärdensprache angewiesen. Deswegen muss jemand bei ihm sein und ihn darin unterstützen, sein Umfeld zu verstehen und mit ihm zu kommunizieren. Seine Möglichkeiten, völlig selbstständig zu handeln, waren dadurch immer weitgehend eingeschränkt - im Grunde ist er in seinem ganzen Leben nie wirklich unbeaufsichtigt gewesen. Dazu kommen die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung, seine Angstzustände und sein manchmal forderndes Verhalten. In einem belebten oder nicht vertrauten Umfeld würde dies ein beträchtliches Risiko darstellen. Manches kann ihn sehr beunruhigen und er ist nicht immer in der Lage, mit Unerwartetem umzugehen.
William hat ein Handy. Er hat es gerne, sieht es aber hauptsächlich als ein Gerät zum Speichern von Spielen, Fotos oder Videos, auf die er in seiner Freizeit zugreifen kann. Mit Assistenz kann er Textnachrichten verschicken, aber er hat nie ein besonderes Interesse daran gezeigt, dies unaufgefordert zu tun. Zu Hause hat William einen Computer, auf dem er Spiele spielt (hauptsächlich Minecraft), ins Internet geht (um Webseiten anzusehen, Dinge nachzuschlagen, die ihn interessieren, zum Beispiel Fotos von Essen oder Fernsehsendungen). Das macht er am liebsten. Er hat einen DVD-Player (Digital Video Disc) und kann Filme ohne Hilfe einlegen und schauen.
Da William bei seiner Familie wohnt, wird er in unsere Aktivitäten einbezogen, zum Beispiel bei Treffen mit der Verwandtschaft und Freunden der Familie. Er hat eine gute Beziehung zu seinem Assistenten und scheint gerne Zeit mit ihm zu verbringen. Er kommt mit ins Kino, geht sehr gerne in seinen Lieblingsrestaurants essen und sagt nie nein, wenn es für ein Getränk oder einen Snack ins Café gehen soll. Er geht gerne zum Bowling und bereitwillig spazieren. Er weiß gerne, was von Tag zu Tag passiert, bittet aber selten aus eigener Initiative darum, etwas zu unternehmen. Er wartet, bis andere ihm etwas vorschlagen oder anbieten. Die einzige Ausnahme davon ist, wenn er wissen möchte, was es zum Essen geben wird. Er liebt es, wenn am Wochenende Essen zum Mitnehmen bestellt wird und weiß in der Regel, ob ihm der Sinn nach Chinesisch, Indisch oder Fish and Chips steht.
Es ist schwer zu sagen, ob William weiß, was größere Selbstständigkeit bedeuten würde und ob er sie sich wünschen würde. Er scheint weitgehend zufrieden mit seinem Leben zu sein, so wie es derzeit ist. Wir glauben, wenn sich an seinem Grad der Selbstständigkeit etwas ändern oder verbessern soll, wird das schrittweise und sehr vorsichtig erfolgen müssen. Es ist allerdings etwas, was wir sehr fördern möchten.
Eine typische Woche
Montag
Aufwecken durch Mutter, aufstehen, anziehen und Frühstück, begleitet und unterstützt von den Eltern. Gemeinsamer Tag mit Assistenz. Schwimmen gehen, anschließend Mittagessen und vielleicht einen Spaziergang im Park machen. Wieder zurück, wartet er zusammen mit der Assistenz auf die Rückkehr der Eltern. Abendessen, Zeit am Personal Computer (PC), nach 21:00 Uhr ins Bett.
Dienstag - Freitag
Wie oben, aber nach dem Frühstück warten auf die Ankunft des Assistenten, danach warten, bis es Zeit ist, zum College zu gehen. College bis 15:00 Uhr; anschließend nach Hause. Gleiche Abendroutine wie oben.
Samstag und Sonntag
Wacht selbstständig auf, holt Frühstück, spielt am PC, zieht sich an - begleitet Mutter oder Vater eventuell beim Einkauf oder Spaziergang und Café-Besuch. Entspannen zu Hause oder unterwegs mit der Familie, falls ein Ausflug oder eine Aktivität geplant ist. Abendessen und Abendroutine wie an Wochentagen (vor allem sonntags, in Vorbereitung auf die kommende Woche).
Seit einigen Jahren organisiert Sense im Sommer Urlaubsreisen für William. Als er jünger war, fuhr er auch mehrere Male mit der Schule weg. Er genießt diese Ausflüge sehr und kommt auch ohne seine Familie wirklich gut zurecht, vorausgesetzt, man versteht und unterstützt seine Kommunikation und seine Bedürfnisse mit Blick auf Sinneswahrnehmungen und Verhalten.
Er scheint bereitwillig, neue Aktivitäten auszuprobieren und macht bei allem mit, was angeboten wird. Die Mitarbeiter und Freiwilligen auf diesen Freizeiten betonen jedes Mal sein einnehmendes Wesen und seinen Humor.
Sense = Sense ist eine wohltätige Organisation, die taubblinde Menschen in England unterstützt.