Christie

Flagge Niederlande

Mein Schulalltag – aus der Perspektive meiner Lehrerin

Während der Schulzeit laufe ich jeden Morgen zur Schule. Ich muss gar nicht so weit gehen, denn ich wohne in einem Internat in der Nähe der Schule. 

Mein Name ist Christie.

Ich bin 14 Jahre alt und habe das CHARGE-Syndrom. Das bedeutet, ich habe Probleme mit dem Sehen und ich bin gehörlos. Außerdem ich habe eine halbseitige Gesichtslähmung, eine geistige Behinderung und noch vieles mehr.

Christie, Niederlande, vor einem Spiegel

Jeden Morgen hänge ich meinen Mantel an die Garderobe und begrüße meine Lehrerin, Ineke. Ineke kniet sich vor mich hin, weil ich wegen meiner Kolobome sonst ihr Gesicht nicht sehen kann. Ich fange immer an zu Gebärden, aber meine Lehrerin ermuntert mich stetig taktile Gebärden zu verwenden. Wenn ich in der Schule ankomme, bin ich

nicht immer in der Stimmung für ein Gespräch. Oft möchte ich einfach nur „Guten Morgen“ sagen und lege ich meine Tasche auf den Tisch.

Manchmal dauert es sehr lange, bis ich meine Tasche wirklich ausgeräumt habe. Das liegt daran, dass ich viel Zeit für mich selbst benötige und auch, dass ich erst einmal schauen muss, wie mein Tagesplan aussieht. Meine Lehrerin weiß, dass ich diese Zeit brauche und sie gibt sie mir auch. Es gibt so viele Themen, die mich beschäftigen. Zum Beispiel die Wochenenden, die ich mit meiner Mutter und meinem Vater verbringe, die Ferien und die Aktivitäten mit meinen Betreuern - besonders, wenn wir ins Schwimmbad gehen. Wenn ich lange „in meiner Welt“ bleibe, kommt Ineke langsam näher - aber nur so nah wie nötig. Dann ist es oft notwendig, dass sie mich taktil anspricht, um mich doch noch für mein Schulprogramm zu gewinnen. Es gibt aber auch Tage, an denen ich alles innerhalb weniger Sekunden erledige! Meine Lehrer müssen sich den ganzen Tag mein ständig wechselndes Tempo anpassen.

Nachdem ich meine Tasche geleert habe, stelle ich meinen Stuhl in den Musikkreis und setze mich hin. Ich mag es am liebsten sofort, mit meinen Klassenkameraden und den Lehrern ein Lied zu singen. Aber ich mag es gar nicht, wenn das nicht sofort möglich ist. Dann kommt Ineke auf mich zu und sagt mir, dass sie verstanden hat, dass ich anfangen möchte zu singen, dass ich aber geduldig sein und auf meine Klassenkameraden warten muss. Wenn ich nicht warten kann, beginne ich manchmal, ihre Hände zu kratzen oder zu kneifen. Dann sagt sie mir, dass sie das nicht mag, dass es ihr weh tut. Es fällt mir schwer das zu akzeptieren, aber ich versuche mich wirklich zu bessern. Manchmal kann ich damit aufhören, aber meistens macht mir das viel zu viel Stress. Wenn sie das sieht und merkt, versucht sie mit einer tiefen Druckmassage mein Stresslevel wieder runter zu bringen.

Ich mag die Routine des Musikkreises. Zuerst sprechen wir darüber welcher Tag und welcher Monat ist und dann singen wir ein paar Lieder. Aufgrund meiner Gehörlosigkeit kann ich die Lieder weder hören noch singen, aber ich liebe es, meine Lieblingslieder in Gebärdensprache zu zeigen. Mit der Zeit lerne ich auch zu verstehen, welche Lieder die Lieblingslieder meiner Klassenkameraden sind. Nachdem Ineke und ich uns unterhalten haben, fange ich oft an, über dasselbe Thema zu sprechen - zum Beispiel über die verschiedenen Farben der Lampen im Schwimmbad. Ineke und ihre Kollegen vermuten, dass ich dies aus einem bestimmten Grund tue. Entweder weil ich es nicht schaffe, ein Gespräch über andere Themen zu beginnen oder weil dieses Thema eine sichere Möglichkeit für mich ist, überhaupt ein Gespräch zu beginnen. Es ist lustig, aber nachdem Ineke meine Eigenheiten unterstützt hat, fühle ich mich oft wohler und bin offener für ihre Angebote. Sie erweitert dieses Thema häufig auf viele verschiedene Arten. Ein anderes Mal spricht sie dann ein anderes Thema an. Ich spreche immer häufiger gern über viele andere Themen.

Ich brauche auch viel Zeit, um etwas zu erledigen. Ineke versucht auch immer herauszufinden, wie viel Zeit ich brauche. Zu viel Zeit lässt sich mir aber nicht, da ich sonst möglicherweise das Thema vergesse, über das wir gesprochen haben (nun, das ist ihre Meinung ... ).

Manchmal fällt es mir auch schwer, ihren Aufforderungen zu folgen, und manchmal kann sie meinen nicht folgen. Wir brauchen viel Zeit um herauszufinden, was ich möchte, denn es ist für mich schwierig auszudrücken, was mich gerade beschäftigt. In den letzten Jahren ist es mir jedoch oft gelungen, meine Gedanken oder Wünsche zu äußern. Darüber haben wir uns beide sehr gefreut. Es ist so besonders, diese Momente zu teilen. Wenn ich meine Gedanken und Wünsche nicht mit Gebärdensprache zeigen oder nicht in meinem speziellen „Heft“ (gefüllt mit Piktogrammen und Zeichnungen) darauf hinweisen kann, bietet mir Ineke Papier und einen Bleistift an. Ich habe eine Menge Zeichnungen im Kopf. Aber aufgrund meiner eingeschränkten motorischen Fähigkeiten kann ich nicht alleine zeichnen. Wenn meine Hand jedoch von der Hand meines Lehrers unterstützt wird, kann ich auch zeichnen, um mich auszudrücken.

Zu Beginn dieses Schuljahres haben wir einen täglichen Zeitplan für mein Schulprogramm erstellt. Ich habe den Zeitplan innerhalb weniger Wochen gelernt. Ich muss also nicht jeden Tag nachsehen. Bei Änderungen ist es für mich wichtig, dass diese Änderungen in einem Einzelgespräch mit mir besprochen und in meinem Zeitplan, meinem Programm oder meinem Gesprächsbuch visuell weiter ausgearbeitet werden.

Wie sagt meine Mutter immer: „C. hat ein Gedächtnis wie ein Elefant“ und sie hat recht. Dies gilt auch für viele Ereignisse, die vor Jahren stattgefunden haben und an die ich mich heute noch erinnern kann. Aber wie ich bereits sagte, es fällt mir nicht leicht mich auszudrücken. Deshalb ist es wichtig, dass meine Kommunikationspartner meine persönliche Geschichte kennen.

Christie, Niederlande, mit der Schulbegleitung

Wenn ich gestresst bin, merkt man das an meinem Verhalten. Zum Beispiel kann ich dann mich und jemand anderen verletzen oder ich zerbreche etwas. Es ist so schwer für mich, mich zu beherrschen. Dies kann verschiedene Ursachen haben, wie zum Beispiel Unruhe um mich herum, mein Verlangen nach klaren Abläufen oder einfach um meinen Kopf durchzusetzen. Mein Verhalten kann für meine Kommunikationspartner schwer zu verstehen sein.

Meine Lehrerin ist der Meinung, dass ich ein Programm mit Aktivitäten in einem bekannten Rahmen brauche. Manchmal muss ich herausgefordert werden und brauche eine Veränderung in meiner Routine, obwohl es auch Momente geben kann, in denen ich viel Routine einfordere. Ich brauche ein Gleichgewicht zwischen Anstrengung und Entspannung. Es kann mir auch sehr helfen, wenn ich eine gewisse Nähe spüre.

Während eines Schultages gibt es zwei Pausen, um in der Schule Obst und Brot zu essen. Ich stecke oft Obst und Brot gleichzeitig in den Mund und fülle ihn damit vollständig aus. Es hilft mir sehr, wenn mein Kommunikationspartner dann auf meine Wangen drückt oder klopft. Mehrmals in der Woche ist eine Tiefdruckmassage Teil meines Programms, aber manchmal ist mein Bedürfnis nach Druck so groß, dass ich tagsüber um eine zusätzliche Sitzung bitte. Meine Lehrer können dies nicht immer sofort umsetzen, weil auch andere Schüler in meinem Klassenzimmer sind. Das ist so schwierig für mich, aber … obwohl ich verstehen kann, was sie meinen – kann ich in diesem Augenblick mein Verhalten nicht ändern. Ich habe oft das Gefühl, dass ich einfach nicht warten kann …! Es ist dann hilfreich, wenn meine Lehrer mir einfach das Gefühl geben, dass sie mich gehört haben. Dieses Gefühl hängt mit der Verbundenheit zusammen, die ich mit meinen Lehrern aufbauen konnte. Am Ende eines Schultages packe ich dann wieder meine Tasche und verabschiede meine Lehrerin Ineke mit den Worten: „Bis morgen“.

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